Pressemitteilung der Nebenklagevertreter Rechtsanwälte Stolle und Scharmer vom 06.08.2013
Vier Zeugen sehen bei dem Mord an Ismail Yasar verdächtige Fahrradfahrer. Die Ermittler fliegen in die Türkei und lassen seine kurdischen Hinterbliebenen von der dortigen Staatsanwaltschaft vorladen.
Zunächst hörten wir den Gerichtsmediziner, der die Obduktion von Mehmet Turgut (damals unter Yunus Turgut bekannt) durchgeführt hatte. Drei Schüsse hatten den Mann getroffen. Ein Kopfdurchschuss und ein Halsschuss waren unmittelbar tödlich. Rettungschancen bestanden trotz der Versuche der Reanimation nicht.
Danach wurden die ersten Zeugen im Mordfall Yasar vernommen. Eine Nürnberger Polizeibeamtin war als erste Beamtin am Tatort und fand den leblosen blutüberströmten Ismail Yasar. Ein Zeuge, der sich einen Döner kaufen wollte, hatte den Mann gegen 10:15 Uhr am 09. Juni 2005 in dem Imbiss aufgefunden.
Zwei weitere Polizeibeamte erklärten, dass sie zunächst einmal die Ausländerakte von Ismail Yasar umfangreich ausgewertet hatten.
Ein anderer Nürnberger Kripobeamter berichtete über die Tatrekonstruktion, die er mit vier Zeugen durchgeführt hatte. Allen waren zwei Fahrräder am Tatort aufgefallen. Ein Zeugin hatte zwei Männer mit Fahrrädern gesehen und Schussgeräusche gehört. Einer der Männer habe einen bösen und stechenden Blick gehabt. Eine weitere Zeugin habe ebenfalls zwei Männer mit Fahrrädern gesehen. Diese hätten versucht, sich mit einem Stadtplan zu orientieren. Einer der Männer habe einen länglichen Gegenstand in einer gelben Plastiktüte in den Rucksack des anderen Mannes getan. Einem weiteren Zeugen seien ebenfalls zwei Fahrradfahrer in Tatortnähe aufgefallen, die sich auffällig langsam bewegten. Unmittelbar danach habe er Schüsse wahrgenommen. Die Zeuginnen und Zeugen, welche die Fahrradfahrer gesehen haben, werden noch einzeln und ausführlich vernommen werden, nach derzeitiger Planung am 06.09.2013. Heute ging es zunächst um die zeitliche und örtliche Einordnung der Wahrnehmungen. Dabei war festzustellen, dass allen Zeugen die beiden Radfahrer besonders aufgefallen sind und ihre Wahrnehmungen zeitlich und örtlich unter einander sowie auch mit der Wahrnehmung der Schussgeräusche zusammenpassen.
Die Kollegin Basay, welche die Nebenklage der Familie Simsek vertritt, stellte vor der Mittagspause noch zwei Anträge. Zum einen möchte sie Akteneinsicht in Nachermittlungen bekommen, welche die Generalbundesanwaltschaft inzwischen auch zu einer Telefonnummer von vermutlich Tino Brandt mit Bezug zum Mord an Enver Simsek durchgeführt hat, die aber weder den Prozessbeteiligten, noch dem Gericht vorliegen. Zum anderen beantragte sie die Vernehmung einer weiteren potentiellen Tatzeugin im Mordfall Simsek. Diese wurde seitens der Bundesanwaltschaft nicht als Zeugin benannt und bislang auch nicht geladen.
Nachmittags wurde zunächst ein BKA Ermittler vernommen, der Teile des Kartenmaterials, welches in der Zwickauer Frühlingsstraße im Brandschutt aufgefunden wurde, ausgewertet hat. Der Ausdruck einer Karte von Nürnberg entstammte aus der Zeit vor dem Mord an Ismail Yasar. Es waren viele potentielle Anschlagsziele vermerkt, die zuvor vor Ort ausspioniert worden seien mussten. Es fanden sich eine Reihe von detaillierten Beschreibungen, wie „Tür offen ohne Schloss, Keller zugänglich“ oder „Türke aus Tankstelle nebenan geht jede freie Minute zum Reden rüber“ in dem Material. Danach folgte die Vernehmung eines leitenden Ermittlers der Mordkommission in Nürnberg zum Fall Yasar. Dieser hatte 2009 noch einmal die Spuren auf neue Hinweise überprüft. Insbesondere hatte er ein Schallgutachten eingeholt, welches zu dem Schluss kam, dass die Wahrnehmung der Schussgeräusche durch die Zeugen durchaus realistisch war. Die Spur der Radfahrer fand er wichtig. Er habe seit 2005 einen ausländerfeindlichen Hintergrund für die Tat angenommen. In der BAO Bosporus habe es eine Ermittlungsgruppe gegeben, die sich speziell mit der Ermittlung in der militanten Naziszene beschäftigt habe. Vor allem wurden Personen aus dem Nürnberger Süden überprüft, weil man dort die Täter vermutete. Nicht alle angeforderten Daten aus Bayern wurden vom Bayerischen Verfassungsschutz auch geliefert. 780 bayerische Neonazis seien der BAO Bosporus vom Verfassungsschutz mitgeteilt worden, 82 dieser Personen habe man im Postleitzahlenbereich 90 (Bayern) überprüft, ohne Ergebnis. Ob und wem Videobilder der zwei Fahrradfahrer aus Köln vorgelegt wurden, wisse er nicht mehr. An die Befragung der kurdischen Familie durch Amtshilfe der Staatsanwaltschaft in der Türkei, die er dem Opfer “schuldig“ gewesen sei, erinnerte er sich noch gut. Es sei dabei im organisierte Drogenkriminalität und PKK Hintergründe gegangen.
Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
“Wie im Fall Kilic und Simsek wurden wieder zwei Männer auf Fahrrädern direkt am Tatort zur Tatzeit gesichtet. Im Fall Yasar waren es sogar vier unabhängige Zeugen, die diese Beobachtungen gemacht haben. Nachhaltige Ermittlungen in Richtung der Fahrradfahrer sind nicht erfolgt. Stattdessen wurde minutiös die Ausländerakte ausgewertet. Die Ermittler flogen in die Türkei und ließen dort von der türkischen Staatsanwaltschaft jedes einzelne Mitglied der kurdischen Familie zur Vernehmung vorladen. Zudem wurde die Spur nach einem rassistischen Motiv, wenn überhaupt, nur halbherzig und nicht bundesweit überprüft. Wiedereinmal ist klar geworden, dass institutioneller Rassismus der Ermittlungsbehörden den Blick für notwendige Ermittlungen versperrt hat.“
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