Presseerklärung der Nebenklagevertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle vom 19. September 2013
Die Beweisaufnahme zum Mord an Mehmet Kubasik hat begonnen
Am heutigen Verhandlungstag wurden zunächst die Beschlüsse bekannt gegeben, mit denen die Befangenheitsanträge von Zschäpe und Wohlleben abgelehnt worden sind. Unabhängig von der (berechtigten) Kritik an der Festsetzung der Vorschusszahlungen an Rechtsanwalt Stahl, rechtfertigt diese jedenfalls keine Besorgnis der Befangenheit gegen alle Senatsmitglieder.
Im Anschluss folgte die Vernehmung von zwei Nachbarn des Trios aus der Frühlingsstraße in Zwickau. Beide hatte Frau Zschäpe nach der Explosion weglaufen sehen.
Nun konnten die ersten Zeugen zum Fall des ermordeten Dortmunder Kioskbesitzers Mehmet Kubasik gehört werden. Auf diesen Moment hatte auch Gamze Kubasik lange gewartet, die aus Dortmund angereist war. Ein erhebliches Problem bei der Befragung war allerdings heute, dass der ursprünglich geplante Aufbau der unterschiedlichen Zeugenvernehmungen, der auch vom Senat strukturiert und logisch vorbereitet war, durch die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins am 18.09.2013 Geschichte geworden war. Denn man kann die leitenden Polizeibeamten schlecht zu den vielfältigen Vernehmungen, die sie 2006 selbst durchgeführt haben, befragen, wenn wiederum diese Zeugen noch nicht vor Gericht ausgesagt haben.
Zunächst sagte der Polizeibeamte aus, der als erster Beamter vor Ort war und den mit zwei Kopfschüssen regelrecht hingerichteten Mehmet Kubasik kniend in einer Blutlache fand. Der von ihm hinzugerufene Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. Es folgten zwei Beamten, die Schussspuren und die Wahrnehmung von Schussgeräuschen außerhalb des Kiosks untersucht hatten. Vier mal schossen die Täter auf Mehmet Kubasik. Zwei Schüsse trafen in den Kopf. Alle Projektile konnten der Tatwaffe Ceska mit Schalldämpfer zugeordnet werden. Fast schon demonstrativ hinterließen die Schützen eine Patronenhülse direkt auf der Registrierkasse. Auch die im Laden sichtbar angebrachte – leider nicht funktionsfähige – Überwachungskamera hielt die Mörder nicht von ihrem Vorhaben ab. Die Schüsse waren dabei vor dem Geschäft an der vielbefahrenen vierspurigen Hauptstraße aller Wahrscheinlichkeit nach für Passanten nicht hörbar.
Im Anschluss sollte eigentlich eine umfangreiche Vernehmung zweier leitender Ermittler der Mordkommission aus Dortmund folgen. Diese wurde aber jeweils nach einer kurzen Übersichtsbefragung durch den Vorsitzenden unterbrochen, da zunächst die unmittelbaren Zeugen, insbesondere auch Gamze Kubasik und ihre Mutter Elif Kubasik gehört werden sollen. Der damalige Ermittlungsführer betonte allerdings bereits bei den Eingangsfrage, dass sie umfangreiche Ermittlungen zum Hintergrund des Mordopfers und seiner Familie durchgeführt haben, der Mann aber eine absolut weiße Weste gehabt habe. Kriminelle Machenschaften habe man nicht nachweisen können. Mehmet Kubasik sei ein überaus fleißiger und allseits geschätzter, ruhiger und ausgeglichener Mann gewesen.
Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
“Dass der leitende Ermittler davon spricht, dass kriminelle Machenschaften des Tatopfers Mehmet Kubasik nicht nachgewiesen hätten werden können, ist richtig. Es heißt nämlich auch, dass die Polizei umfangreiche Versuche unternommen hat, genau diesen „Nachweis“ zu erbringen. Die Nebenklage der Familie Kubasik hatte insoweit eine umfangreiche Befragung der verantwortlichen Beamten vorbereitet. Unter anderem sollte es dabei auch um konkrete Spuren gehen - die es bereits im Jahr 2006 gab – und die klar auf ein rassistisches Tatmotiv deuteten, letztlich nach Aktenlage aber konsequent ignoriert wurden. Da die gesamte Befragung allerdings auch auf der Aussage der für Mittwoch, den 18.09.2013, ursprünglich vorgesehenen Zeuginnen und Zeugen aufbauen sollte, werden wir diese dann auch vornehmen, wenn diese Vernehmungen stattfinden. Das wird voraussichtlich Anfang November der Fall sein. Gamze Kubasik und ihre Mutter werden dann erneut an der Verhandlung teilnehmen und auch selbst aussagen.“
Vor der Mittagspause stellte ferner eine Nebenklagevertreterin der Familie Yozgat einen Beweisantrag, der sich im Wesentlichen auf den Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund bezog, der zwei Tage vor dem Mord an Halit Yozgat in Kassel verübt wurde. Eine bislang nicht aktenkundige Zeugin, die offensichtlich allein den Anwälten der Familie Yozgat bekannt wurde, habe unmittelbar vor dem Mord an Mehmet Kubasik Beate Zschäpe in Begleitung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und einem bulligen Skinhead in Dortmund auf einem brachliegenden Nachbargrundstück gesehen. Dort habe sie auch länger abgeparkt Wohnmobile mit auswärtigen Kennzeichen wahrgenommen.
Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
“Die für mich, meine Kollegen und die im Gerichtssaal anwesende Familie, überraschenden neuen Erkenntnisse sind durchaus von Bedeutung. Die Zeugin wird zu hören sein. Aktuell kann man davon ausgehen, dass das Gericht dies auch zeitnah veranlassen wird. Dabei wird es dann für alle Verfahrensbeteiligten entscheidend auf den Eindruck der Zeugin vor Gericht ankommen. Wenn sich ihre Aussage bestätigt, wäre sie nicht nur für die Schuldfrage der Angeklagten von Bedeutung, sondern auch für die Frage von Unterstützern des NSU an den Tatorten, insbesondere in Dortmund. Hinzu kommt, dass es noch weitere wichtige Zeugen zum Fall in Dortmund gibt, die bislang noch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, da die Vernehmungen zu Dortmund im Wesentlichen verschoben werden mussten. Allerdings ist davor zu warnen, der mögliche Aussage der benannten Zeugin ein überragendes Gewicht beizumessen. Die Anklage wirft Frau Zschäpe gerade eine Mittäterschaft vor, ohne dass sie dafür an einem der Tatorte gewesen sein müsste. Die bisherige Beweisaufnahme hat diese Anklage bislang im Wesentlichen bestätigt, so dass die Zeugin zusätzliche – nicht aber im Sinne der Anklage zwingend notwendige – Belastungsmomente liefern kann.
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