Pressemitteilung der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Scharmer und Rechtsanwalt Stolle vom 5. November 2013
Gamze und Elif Kubasik schildern bewegend die Folgen des Mordes ihres Vaters und Ehemanns. Fast sechs Jahre lang wurden sie zum zweiten mal Opfer rassistisch geprägter Ermittlungen.
Nachdem ihre Vernehmung zunächst aufgrund von Befangenheitsanträgen verschoben wurde, begann der heutige Verhandlungstag mit der Aussage von Gamze Kubasik.
Bewegend schilderte Gamze Kubasik, wie sie und ihre Familie gemeinsam den Kiosk in Dortmund betrieben und sich von einem auf den anderen Tag ihr Leben dramatisch verändert hat. Von der Schule kam sie, wie jeden Tag, zum Kiosk, wo sie eine Menschentraube und die Polizei vorfand. Sie wollte zu ihrem Vater und wurde nicht durch gelassen. Ein Polizeibeamter sagte zunächst nur, er wäre verletzt. Die Minuten in der Ungewissheit, was geschehen ist, waren traumatisch für Gamze Kubasik. Sie wollte zu ihrem Vater, ihm helfen, ihm zur Seite stehen – und dürfte nicht. Dann kam ein Kriminalbeamter und sagte, ihr dass ihr Vater tot sei. Es sei wie ein Film gewesen. Sie habe alles gehört, habe aber nicht reagieren können. Die Nacht habe sie nicht geschlafen. Die Mutter habe nur geweint. In der Wohnung seien zur Trauer viele Verwandte und Freunde gewesen. Doch bevor Gamze Kubasik zur Ruhe kommen konnte, wurde sie am nächsten Morgen von der Polizei abgeholt und mehrere Stunden vernommen. Gefragt, wie es ihr geht und ob sie vernehmungsfähig sei, wurde sie nicht. Auf die ihr zustehende Möglichkeit eine Vertrauensperson oder einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen, wies man sie nicht hin. Stattdessen fragte man sie, ob es Eheprobleme ihres Vaters gäbe. Auch nachdem klar war, dass ihr Vater Opfer der bundesweiten Mordserie war, wurde sie weiter dazu befragt, ob ihr Vater eine Geliebte hatte, mit Drogen gehandelt hätte oder ob sie einen heimlichen Freund habe. Konto- und Handydaten der Familie wurden detailliert ausgewertet. Mit Drogenspürhunden durchsuchten weiß gekleidete Ermittler die Wohnung, den Keller und das Auto nach Drogen. Nachbarn und Bekannte tuschelten hinter dem Rücken der Familie. Ihr Bruder wurden in der Schule als Sohn eines „Mafiabosses“ diffamiert und verprügelt. Die Familie musste über mehrere Generationen einen Stammbaum aufzeichnen. Die Ermittlungen reichten bis in die Türkei. Auf die Frage von Gamze Kubasik und ihrer Mutter, ob das nicht auch „Nazis“ gewesen sein könnten, wurde mitgeteilt, dass es dafür „keine Anhaltspunkte“ gäbe. Noch heute leide sie unter Angstzuständen. Ihre Mutter sei in psychologischer Behandlung und habe ihre Trauer nie überwinden können. Ihr Vater sei für Gamze Kubasik bis zu seinem Tod die wichtigste Vertrauensperson gewesen. Er sei überall beliebt, ruhig und freundlich gewesen.
Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
Gamze Kubasik schilderte bewegend die Folgen des Mordes an ihrem Vater. Mehmet Kubasik hatte immer viel gearbeitet, den Lebensunterhalt der Familie verdient. Er war ein liebevoller Vater und in der Dortmunder Nordstadt sehr beliebt. Die Ermittlungen waren bis zur Entdeckung des NSU von rassistischen Vorurteilen geprägt. Trotz der Tatsache, dass bereits sechs Jahre zuvor die Morde, die alle auch mit der selben Waffe Ceska 83 begangen wurden, bereits begonnen hatten, wurde das Motiv im Umfeld der Familie gesucht. Auch jeder noch so absurde Ansatz, wie etwa ein vermeintlich geheimer Freund von Gamze Kubasik, wurde verfolgt. Die Hinweise der Familie, dass auch ein rechtsradikales Motiv in Betracht kommen könnte, wurden ignoriert. Die Familie wurde dadurch zum zweiten Mal zum Opfer. Die damals ermittelnden Polizeibeamten hatten bis heute keine dienstlichen Konsequenzen zu spüren. Für Gamze Kubasik war es wichtig, durch ihre Aussage ihre Leidensgeschichte zu schildern und ihren Vater auch öffentlich zu rehabilitieren.“
Im Anschluss sagte Elif Kubasik, die Witwe von Mehmet Kubasik, aus. Auch ihre Aussage war bewegend. Seit sie 17 war, war sie mit Mehmet Kubasik zusammen, hatte ihn geheiratet und war mit ihm und Gamze aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Sie schilderte übereinstimmend mit Gamze Kubasik die Folgen der Tat und der Ermittlungen für sie und ihre Familie. Mehrere Monate nach der Tat hatte sie eine Demonstration in Dortmund organisiert, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Auf Nazis als mögliche Täte hatte sie mehrfach hingewiesen. Nachgegangen wurde dem nicht. Noch heute leidet sie physisch und psychisch an den Folgen des Mordes.
Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:
Neben dem Verlust ihres Ehemannes und Vaters ihrer Kinder musste Elif Kubasik mit den Verdächtigungen und den Vorwürfen aus ihrer Umgebung fertig werden - Unterstellungen, die aufgrund der Ermittlungen der Polizei entstanden sind. Obwohl sie mehrfach darauf hingewiesen hat, dass sie Nazis als Täter vermutet, wurde dem nicht nachgegangen. Für das weitere Verfahren ist es für Elif Kubasik von zentraler Bedeutung, dass endlich die Taten und ihre Hintergründe vollständig aufgeklärt werden.
Nachmittags sagte insbesondere eine Zeugin aus Dortmund aus, die neben dem Kiosk gearbeitet und gewohnt hat. Zur Tatzeit hat sie zwei mal vor dem Kiosk zwei Männer, einen mit einem Basecup und einem Fahrrad, gesehen. Sie hätten so grimmig geschaut, dass sie sich nicht getraut hatte, in den Kiosk zu gehen und sie sogar die Straßenseite gewechselt hat. Mehrfach hatte sie bei der Polizei angegeben, dass es sich um „Junkies oder Nazis“ gehandelt habe. Da sei sie sich auch heute noch sicher. An viele Einzelheiten – insbesondere Wahllicht- und Videobildvorlagen - erinnerte sie sich heute nicht mehr. Auch eine konkrete Identifizierung sei ihr heute nicht mehr möglich.
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