Pressemitteilung der Nebenklagevertreter Rechtsanwälte Stolle und Scharmer vom 16.01.2014
Die Einsätze von Michele Kiesewetter bei rechten Demonstrationen wurden nicht weiter untersucht.
Am heutigen Verhandlungstag begann die Beweisaufnahme zum Mord an Michele Kiesewetter und versuchtem Mord an ihrem Kollegen in Heilbronn. Zunächst wurde die Polizisten vernommen, die die erschossene Frau Kiesewetter und ihren schwerstverletzten Kollegen Martin Arnold aufgefunden hatten. Kiesewetter war bei Eintreffen bereits tot. Ihr Kollege lag halb aus dem Streifenwagen heraus mit blutendem Kopf auf dem Boden. Der Tatort – die Theresienwiese in Heilbronn – war offensichtlich ein beliebter Ort für Pausen von Polizeistreifen. Kiesewetter habe extra erst am 19.04.2007 für den 25.04.2007 den Einsatz getauscht. Eigentlich war ein anderer Beamte für diesen Tag vorgesehen gewesen. Auch die Einsatzzüge und Zeiten der Polizei seinen für diesen Tag getauscht worden. Michele Kiesewetter war 2006 und 2007 bei vielen rechten Demonstrationen eingesetzt. Ermittlungen, wer diese Demonstrationen angemeldet hat, wer teilgenommen hat und welche Tätigkeiten Frau Kiesewetter dort ausübte, sind offensichtlich bis zum heutigen Tag nicht angestellt worden.
Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
“Es muss aufgeklärt werden, ob Michele Kiesewetter tatsächlich zufällig als Opfer durch den NSU ausgesucht wurde, weil sie als Polizeibeamtin Representantin des Staates ist. An dieser Version der Anklage können zumindest Zweifel entstehen. Die Bundesanwaltschaft und ermittelnden Kriminalbeamten haben hierzu wesentliche Ermittlungen bislang unterlassen. Es hätte auf der Hand gelegen, dass eine Polizeibeamtin die reihenweise dienstlich bei rechten Demonstrationen eingesetzt war und aus der Region des Trios kommt, auch ein bewusst individuell ausgewähltes Opfer gewesen sein kann. Zumindest wäre es wichtig, das abzuklären. Warum hier nicht weiter ermittelt wurde, ist vollkommen unklar.“
Am Nachmittag hörten wir den Zeugen Martin Arnold. Er hatte wie durch ein Wunder den Kopfschuss am 25.04.2007 überlebt. Er war bei dem Einsatz seiner BFE Einheit das erste mal in Heilbronn. Seine Kollegin Michele Kiesewetter war schon öfter vor Ort, zeigte ihm alles, fuhr auch den Einsatzwagen. Schon einmal am Morgen des Tages seien sie zur Theresienwiese gefahren und hatten sich dort in den Schatten des Trafohäuschen gestellt, um eine Zigarette zu rauchen. Nach über 4 ½ Wochen wachte er im Krankenhaus aus dem Koma auf und riss sich erstmal alle Kanülen aus den Armen, weil er dachte es wäre eine „sehr praxisnahe Übung“ seiner Polizeidienststelle. Dann habe er geglaubt, er hätte einen Motoradunfall gehabt. Als er erfahren hatte, dass er in den Kopf geschossen wurde und seine Kollegin tot ist, konnte er es nicht fassen, schlug seinen Kollegen, der ihm das erklärte in den Bauch. Es sei eine lange und schwierige Zeit gewesen. Erst sei eine Seite seines Körpers gelähmt gewesen. Er habe nicht gewusst, welche Schäden bleiben. Dann sei eine Reha nach der anderen gekommen. Er wollte unbedingt wieder in den operativen Dienst der Polizei. Dieser Job sei sein Kindheitstraum gewesen. Das konnte er aber nie wieder. Eine Waffe hat er nie wieder bekommen.
Für den Einsatz in Heilbronn hatte er sich freiwillig gemeldet, wollte als junger Polizist Einsatzerfahrung sammeln. Heute habe er schlaflose Nächte und immer wieder die Bilder im Kopf. Sein Innenohr sei zertrümmert. Der Gleichgewichtssinn sei zerstört. Sein Kopf sehe vor Narben aus, wie eine „Landkarte“. Es bestehe nach wie vor eine hohe Epilepsiegefahr. Ein Teil des Projektils sei immer noch in seinem Kopf.
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