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Erklärung der Nebenklägervertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle vom 4. Juni 2013

Pressemitteilung vom 04.06.2013

Der Tag begann erneut mit Anträgen, bevor dann am Nachmittag mit der Vernehmung von Carsten S. begonnen werden konnte.

Zunächst beantragte die Verteidigung von Frau Zschäpe, das Verfahren einzustellen. Es gäbe ein so genanntes ungeschriebenes Verfahrenshindernis, was daraus resultieren würde, dass das BKA oder auch die Politik als Repräsentanten des Staates eine Vorverurteilung von Frau Zschäpe als Teil eines „Terrortrios“ vorgenommen hätten. Zudem gäbe es eine Verstrickung vieler möglicher V-Leute in das mutmaßliche Umfeld des NSU und wichtige Aktenbestandteile wären vernichtet worden.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

„Der Antrag gleicht dem bereits abgelehnten Antrag der Verteidigung von Wohlleben. Zwar führt die Verteidigung von Frau Zschäpe nicht mediale, sondern Äußerungen in Politik und den Strafverfolgungsbehörden für ihren Einstellungsantrag an. Es ist jedoch in der Rechtsprechung sowohl des BGH als auch des Bundesverfassungsgerichts unstreitig, dass derartige Gründe für eine Einstellung nicht ausreichen. Vielmehr kann der Antrag mehr als eine Art „Opening Statement“ verstanden werden, mit dem die Verteidigung die Beweisaufnahme lenken möchte. Die Begründung ist allerdings weder neu, noch sonderlich kreativ.“

Ferner beantragte die Nebenklage der Familie Yozgat festzustellen, ob Prozessbeobachter des BKA, der LKA’s oder der Verfassungsschutzämter vor Ort seien und, wenn ja, diese von der Verhandlung auszuschließen wären. Es sei zu befürchten, dass Aussagen potentieller Zeugen durch die mögliche Weitergabe des Prozessinhalts durch die behördlichen Prozessbeobachter beeinflusst werden könnten. Neben verschiedenen Nebenklagevertretern schloss sich auch die Verteidigung von Frau Zschäpe und von Herrn Wohlleben dem Antrag an. Wir allerdings nicht. Im Vorfeld hatten sowohl das BKA als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beim Senat angefragt, ob sie offiziell Beobachter entsenden könnten und ob gewährleistet werden könnte, dass diese auch im Zuschauerraum Platz nehmen könnten.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

„Für eine solche Prozessbeobachtung gäbe es keine tragfähigen Gründe. Es ist zwar richtig, dass die Ermittlungen seitens der BAW und des BKA in Sachen NSU nicht abgeschlossen sind. Sollten sich allerdings aus der Hauptverhandlung neue Ermittlungsansätze ergeben, kann das BKA durch die Bundesanwaltschaft informiert und entsprechend beauftragt werden. Eine Prozessbeobachtung durch den Verfassungsschutz sogar ist weder notwendig noch angezeigt.“

Zumindest am heutigen Verhandlungstag haben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine solche Beobachtung stattfindet.

Der Senat lehnte den Antrag gegen 15:30 Uhr ab.

Daraufhin stellte die Verteidigung der Angeklagten Zschäpe einen Antrag auf wörtliche Protokollierung der Aussagen von Carsten S. und Holger G., der erwartungsgemäß abgelehnt wurde. Die Strafprozessordnung sieht dies nicht generell vor.

Danach konnte mit der Vernehmung des Angeklagten Carsten S. um ca. 15:45 Uhr begonnen werden.

Er berichtete zunächst auf Bitten des Vorsitzenden über seine biografische Entwicklung. Im Fokus stand dabei zunächst seine Kindheit, Jugend, berufliche und persönliche Entwicklung. Vertieft erzählte Carsten S. über sein „Coming Out“ und wie damit in Jena, Düsseldorf mit Freunden, den Eltern und auch in der rechten Szene umgegangen wurde. Außerdem beschrieb er kursorisch seine politische Kariere als Mitgründer des NPD Kreisverbandes in Jena, dann stellvertretender Kreisvorsitzender, Gründung und Leitung des JN-Stützpunktes sowie als stellvertretender Bundesgeschäftsführer der JN. Im August 2000 will er aus der rechten Szene ausgestiegen sein, aber weiter Kontakt zu „alten Freunden“ aus Jena gehalten haben, die aber entweder auch Aussteiger seien oder nie so richtig in der rechten Szene drin gewesen wären. Sein Ausstieg wäre „Step-by-Step“ erfolgt.

Danach erzählte Carsten S. von seinen Kontakten zu Mundlos, Böhnhart und Zschäpe bis zu seinen konspirativen Telefonaten, die er im Auftrag von Wohlleben und Andre K. geführt habe. Der bereits aktenkundige Einbruch in der Wohnung von Zschäpe nach ihrer Flucht, um Dokumente und Ausweispapiere sowie eine Schwarz-Weiß-Rote Fahne zu stehlen, wurde von ihm, genauso wie der vom Trio in Auftrag gegebene Motorraddiebstahl eingeräumt. Er sei von den anderen nicht mit Namen angesprochen worden, sondern will als „Kleiner“ bezeichnet worden sein. Er schilderte dann die Anweisung eine möglichst deutsche Handfeuerwaffe zu besorgen. Ein Schalldämpfer sei nicht bestellt gewesen. Über Kontakte von Wohlleben habe er eine osteuropäische Waffe mit Schalldämpfer und Munition in einem Madleyladen im April/Mai 2000 gekauft und dem Trio in Chemnitz übergeben, wobei kurz vor der Waffenübergabe auch Frau Zschäpe anwesend gewesen sei. Ob er sich darüber Gedanken gemacht hat, wisse er nicht mehr. Er hätte aber so ein „positives Gefühl“ gegenüber den Dreien gehabt, dass damit nichts Schlimmes passieren würde.

Die Vernehmung konnte heute nicht abgeschlossen werden und wird morgen mit einer zu erwartenden umfangreichen Befragung fortgesetzt.

Zum Abschluss des Verhandlungstages erklärt Rechtsanwalt Scharmer:

„Mit der Beweisaufnahme konnten wir nun anfangen. Der Beginn der Aussage von Carsten S. scheint bislang davon getragen, umfassende Angaben machen zu wollen, sich bei wesentlichen Fragen aber auf Erinnerungslücken zu berufen. Allerdings sehe ich die Tendenz, seine eigene Verhaftung in der Naziszene rückwirkend genauso wie seinen eigenen Tatbeitrag verharmlosen zu wollen. Vielmehr präsentiert er sich bislang selbst zum damaligen Zeitpunkt als untergeordnet und insbesondere von Wohlleben und anderen Führungsfiguren abhängig. Wir werden im weiteren Verlauf sehen müssen, ob diese Angaben ggf. auf Nachfragen relativiert werden können.“

Rechtsanwalt Stolle erklärt:

„Bisher haben wir nicht viel gehört oder nachfragen können. Es bestätigt sich der Eindruck aus der Ermittlungsakte, dass Carsten S. der Frage nach seiner ideologischen Einbindung in die rechte Szene eher ausweicht.“